Diese Müsserei

Es will immer wieder betont werden: die Kunst muß nichts müssen. Und sie darf alles. Freilich ist die Freiheit der Kunst kein Synonym für Freiheit der Kunstschaffenden. Das sind zwei verschiedene Kategorien.

Norbert Gall (links) und Martin Krusche

Ich kann mich in meiner Kunstpraxis mit keinerlei Einschränkungen befassen. Das wird mir aber in realer Gemeinschaft mit anderen Menschen unter Umständen Konsequenzen einbringen, die mir mißfallen.

Meine Autonomie in der Kunst ist keine Freistellung von den Konventionen. Egal! Grenzen wollen stets neu untersucht und auf ihre Haltbarkeit hin überprüft werden. Wir wissen, dieses Ausloten künstlerischer Optionen führt unausweichlich zu Kollisionen und Kontroversen… Außer man hat sich einem Kunstgenre verschrieben, das keine kontroversiellen Inhalte kennt.

Aber gibt es das? Hat man sich nicht über Van Gogh empört, weil er Blumen, Himmel und Sonnen malte, wie das als unpassend empfunden wurde? Was mag die Leute an den bewegenden Gemälden von William Turner aufgeregt haben? Sie wissen es, ich weiß es: irritieren Sie jemanden in gewohnten Sichtweisen, schon kann es Ärger geben. Mehr braucht es oft nicht.

Es sind dann die gleichen „Beruhigten Zonen“ menschlicher Wahrnehmung, aus denen viele Menschen nach Jahrzehnten der Linientreue erkrankt, auch traumatisiert herausfallen. Also was nun?

Ich habe letztes Wochenende zwei lebhafte Konferenzchen absolviert. Dabei konnte ich den Zustand unseres Teils der Welt einerseits mit Marketing-Experte Norbert Gall erörtern, andererseits mit Künstler Igor Petković. Die Grenzüberschreitungen sind da wie dort unverzichtbar.

Igor Petković (rechts) und Tito

Wir sind uns einig, daß Kollisionen mit Konventionen unausweichlich bleiben, weil sich sonst am Lauf der Dinge nichts ändern, nichts bewegen würde. Also Pose gibt das aber nichts her. Als Effekt der konsequenten Arbeit an Themen und Aufgaben ist es Standard.

Das heißt, die Kollision ist ein Effekt, aber kein Inhalt. Die Kontroverse ist eine Art Diskursraum. Es mag ja sein, daß manche Leute meinen, man könne Menschen belehren oder die Gesellschaft bewegen. Ich glaube nicht an solche Konzepte. Seit der griechischen Tragödie hat die Erzählung mehr Wirkung als das Tribunal. Damit meine ich: es ist nicht Sache der Kunst eine Gerichtsverhandlung abzuhalten.

Wir erzählen einander die Welt. Wir ziehen daraus Schlüsse. Oder auch nicht. H. C. Artmann hat für sein Genre, die Literatur, im Jahr 1953 eine „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes“ verfaßt. Darin lautet eine Passage: „2) Der poetische Act ist Dichtung um der reinen Dichtung willen. Er ist reine Dichtung und frei von aller Ambition nach Anerkennung, Lob oder Kritik.“

Das korrespondiert mit der antiken Empfehlung, Erkenntnis solle sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Wer sowas gerne als L’art pour l’art etikettiert und folglich als eher nutzlos denunziert, hat erstens nicht verstanden, was symbolisches Denken als besondere Eigenart unserer Spezies bedeutet, neigt zweitens dazu, sich einer völligen Durchökonomisierung des Lebens anzudienen. Das kann man machen, besonders klug erscheint es mir nicht.

— [Hart am Wind: Die Übersicht] —

Autor: Franz Blauensteiner

Kulturarbeiter - Theatermacher - übüKULTUR Hackler Vater Übü, alias Franz Blauensteiner Artdirektor und Theatermacher "Scheitern gehört zum Programm." Vom analogen Bühnenstück zum Low Budget Wild Style Movie in Episoden – dem Theaterfilm. übüFamily: übüDigital-übüFilm und übüLive | Digitale Kunstvermittlung: Theater im Internet und LiveActs Im 25. Jahr werkraumtheater, Neustart mit dem Brand die übüFamily: Im Pandemiejahr 2020 musste das Grazer werkraumtheater studio in der Glacisstraße 61A leider schließen. Aber dieÜbüs orientierten sich nach 25 Jahren Kulturschaffen neu und wagten sich an das „Unmögliche“, denn: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better (Samuel Beckett) Doch jedes Ende hat auch einen Anfang. Man erfindet sich neu bzw. startet mit einem neuen Format durch, der übüFamily. Das Grazer werkraumtheater wurde im Jahr 1995 von Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian gegründet und belebte erfolgreich die Freie Szene abseits der Norm. Was ursprünglich als Alternative zu den konventionellen städtischen Theatern ins Leben gerufen wurde, gilt heute, 25 Jahre später, als eigene Marke und steht für ausdrucksstarke Theaterkunst, die eben nicht (nur) unterhalten will, sondern auch berühren soll. Jedes einzelne Stück kennzeichnet eine mehr oder weniger starke, aber konstante Durchzogenheit von Tradition und Geschichte, welche uns etwa berühren mag, teils vielleicht auch unangenehm ist oder gar (un)ästhetisch wirkt. Gerade diese Reichhaltigkeit und Tiefsinnigkeit sind es, welche die Stücke und Projekte des werkraumtheaters so einzigartig machen. – Weg von der Norm und den Vorgaben, die uns die Gesellschaft ein-indoktriniert, hin zur Freiheit und Individualität und schließlich hin zur „freien Kunst“.